Das Kosmöschen in chaotischer Auslese

Zum literarischen Werk Dominik Steigers unter Bezugnahme auf Sigmund Freuds Untersuchung "Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten"

Benedikt Ledebur

"[…] durch Zufälle entstand oft eine vollkommene Proportion, aber nie konnte diese von Dauer seyn, weil sie nicht durch den Geist aufgefaßt und fixiert ward – Es blieb bei glücklichen Augenblicken.   
Das erste Genie, das sich selbst durchdrang, fand hier den typischen Keim der unermeßlichen Welt – "  
Aus: Blüthenstaub, Nr. 93  (Novalis 1978, 270) 

Der Titel dieses Vortrags ist eine Variation von Paul Mongrés Titel zu seinem „erkenntniskritischen Versuch“: Das Chaos in kosmischer Auslese (Mongré 1898, „Paul Mongré“ ist das Pseudonym des Mathematikers Felix Hausdorff, der ein Standardwerk über die Mengenlehre verfasst hat). Mongré will in diesem eher philosophisch-literarischen Versuch zeigen, dass zwischen der „Realität“, die er auch „absolut“ oder „transcendent“ nennt, und den sie abbildenden „Bewußtseinsvorgängen“ nie eine Identitätsrelation gegeben sein könne, sondern bestenfalls eine koordinierende Relation, die mehr mit unseren hinsichtlich des Möglichkeitsraums beschränkten Funktionsweisen als mit vorgefundenen Zusammenhängen zu tun hätte:

"Ich sagte, wir wollen den Realismus auf seinem eignen Felde schlagen, mit seinen eigenen Sätzen ad absurdum führen. Zu dem Zweck greifen wir irgend eine unserer Bewußtseinswelt anhaftende Eigenschaft oder in ihr obwaltende Beziehung heraus, übertragen sie unverändert auf das absolut Reale und suchen sie dann, bei vorgeschriebener und festgehaltener empirischer Wirkung, möglichst stark umzuformen. Sobald uns das gelingt, so haben wir was wir brauchen: eine innerhalb gewisser Grenzen zutreffende negative Begriffsbestimmung der intelligiblen Welt, ein Exemplar einer Reihe von Eigenschaften, die wir nicht berechtigt sind, dem Realen an sich deshalb zuzuschreiben, weil sie seiner Erscheinung zukommen." (ebd., 8)

Seinen skeptischen Ansatz sieht Mongré radikaler als den Kants, weil er kein „Ding an sich“, sondern nur nihilistisches Chaos als verborgenen Urgrund unserer Konstruktionen postulierte, wie wissenschaftlich diese auch seien. Schon dass Bewusstseinsvorgänge (Projektionen) „abbilden“, und sei es nur in koordinierender Relation, ist eine Abstraktion, die den funktionsorientierten Mathematiker verrät. Die Bezeichnung „Bewußtseinsvorgänge“ lässt sofort an den berühmten Zeitgenossen Mongrés Sigmund Freud denken, der diesen Vorgängen psychologisch einen anderen Urgrund entgegensetzte, zu dessen Entschlüsselung z. B. in „latente Traumgedanken“ er über die Zusammenhänge und Symbolik der Trauminhalte Zugang suchte, in Umgehung der für sein Erklärungsmodell wesentlichen Zensuren und Hemmungen des Bewusstseins, oder, sprachbezogener, durch die Analyse der Rhetorik bzw. von ihm so benannten „Techniken“ des Witzes (sowie des Komischen und des Humors), wie er sie 1905 in seiner Untersuchung Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten veröffentlicht hat.

Dominik Steiger, Knüller, 2007, S/W Kopie auf Papier, Karton, Holz, Objekt, 55 x 29 x 11 cm, Sockel: 6,5 x 20,5 x 11 cm

Gegen welchen Kosmos setzt sich das Kosmöschen nun ab? Wie die Verkleinerungsform von „Kosmos“ als „Wortwitz“ zweideutig offen lässt, ob es sich um eine kleine Weltenordnung oder um den Kosenamen für Ursprung und Ziel von Triebkräften handelt, à la „L’Origine du monde“ Gustave Courbets, wird diese kleine Zusammenschau zu keinen erkenntnistheoretischen Aus- oder Einsichten führen, inwieweit uns unverstellte Blicke in ein für besonders Skeptische nur chaotisches Außen oder ein unbewusstes Innen möglich sind oder nicht. Das Interesse gilt vielmehr einem anderen, bescheideneren vorstrukturierten Äußeren, den unterschiedlichen (Assoziations-)Arten der Schriften Steigers, der Rolle der kleineren Formen in seinem Werk, wie Kalauer, Wortspiel, die Bedeutung von Verschiebungen und des (verfehlten) Witzes, und damit ist auch schon gesagt, welchem Komplementär oder manipulierenden Untergrund zu Bewusstseinsvorgängen Dominik Steigers Interesse zu gelten scheint. Dass eine Freud-nahe Poetik, die durch Arbeit am Wort- und Zeichenmaterial zu ihren Formen findet, Hemmungen überwindende, peinliche Gedanken- oder Vorstellungsarbeit bedeutet, auch und gerade dann, wenn (unlustige) Gedanken erspart bleiben sollen, womit sie sich von den repetitiven Reduktionsmethoden konkreter Poesie steriler Sorte wohltuend unterscheidet, wird angesichts der Theorien Freuds nicht verwundern.

„entkorkst hörte der klein mechanikus in meiner psische auf, sich zu mopsen“ (Steiger 2001, 60). Dieses Motto aus Dominik Steigers sink um i alle minuti bringt vielleicht auf den Punkt, was er mit seinem „Tappen im Pustekuchen-Selbst, ohne humanistische Blähung“ (aus dem dort abgedruckten Brief an Mechthild Rausch, ebd., 67) bezweckt. Als verkorkst könnte ja jenes menschliche Verhalten gelten, das auf Umstände wie mechanisch reagiert (und damit auf uns einen unbeholfenen, komischen Eindruck macht), aber wenn der „klein mechanikus“ aufhört, „sich zu mopsen“, hört er doch nicht auf, „mechanikus“ zu sein, sondern scheint seine Mechanismen lustorientiert selbsttätig und zweckfreier laufen lassen zu wollen, nicht als soziale etc. Funktionen innerhalb gesellschaftlicher Konventionen und Repressionen bzw. unter internalisierter Zensur, die die Bewusstseinsvorgänge oder auch nur Grammatik und Rechtschreibung auf die „psische“ ausüben. Was aber wirkt entkorksend? Wie die Versprecher in der Analyse spielen in Steigers Schriften stehen gelassene Fehler eine Rolle, besonders und gleichsam auf die absichtliche, grammatikalische Spitze getrieben z. B. in Mein fortdeutschheimdeutscher Radau (Tragelaph’s I. Part):

"Mundendürr, blühender Schultern rücken ihr zusammen an den Hörnern die Heinkehrer an den Gestade von dieser Europa, die noch ein letztes Mal ihr Hörnchenkind täuscht, der verletzt ins Palisanatorium eingelsen und versorgt wird, besher er dann wieder am Lebensleisten aufreckt anrufen wird den Meerman gegner den Landbereiter […]" (Steiger 1978, 38)

Doch sind Abnormitäten, die „absichtlich“ (hier nicht unbedingt zielbewusst im Einzelnen, sondern durch ein allgemeines Lockern der orthografischen und grammatikalischen Zügel) herbeigeführt werden, z. B. durch einen Reim, ein Zusammenziehen von Wortteilen zu Klappworten etc. noch Fehler? Als Zweck poetischer, d. h. immer auch auf sprachmaterieller Seite und nicht nur am auszudrückenden Gedanken oder Inhalt ansetzender Schreibmethoden kann ja auch gelten, künstliche „Fehler“, Abweichungen hervorzurufen, eben um zu entkorksen, nicht mehr den kommunikativen Wiederholungszwängen der mit Inhalt verwechselten Klischees in abgedroschenen Phrasen oder Nachahmungen zu erliegen. Das ganze System, und das sprachliche ist in diesem Sinn Teil eines Ganzen, will durch die Zufälligkeit der in sich bedeutungslosen Zusammensetzungen in seinen Konditionierungen gestört werden, um sich auf die Schlichen zu kommen. Methoden, die an Spuren ansetzen, deren Zwecke sie ignorieren, scheinen dazu angelegt, jene durch die Konvention installierten, verkorksten Automatismen von ihren Zuordnungen zu befreien, die solche Spuren hinterlassen. Das kann aber eben auch als Methode gesehen werden, als eine Weise, sich (anderen) Automatismen zu überlassen. Die Surrealisten nannten bekanntlich ihr zeichenassoziatives Schreiben écriture automatique. André Breton selbst bezog später seinen automatisme psychique pur auf Freud, setzte Verstandeskontrolle mit Zensur und Hemmung gleich, das automatische Schreiben mit „freier Assoziation“. Auch wenn die Literaturforschung über die ursprünglichen Einflüsse geteilter Meinung ist (vgl. Scheerer 1974, Nadeau 2002. Philippe Soupault und Breton verfassten die Champs magnétiques 1919, Freuds Traumdeutung erschien 1926 auf Französisch), ist doch das von den Surrealisten praktizierte „automatische Schreiben“ auf jeden Fall eine Unterart der von Freud untersuchten Techniken (die für ihn am offensichtlichsten in gedankenlosen Kalauern zum Zug kommt). Dominik Steiger, der mehr als dieses Register aus Freuds Techniken-Repertoire zu ziehen versteht, hat auf seine Weise der surrealistischen Tradition Tribut gezollt: In dem von Brus 1972–73 herausgegebenen Organ der österreichischen Exilregierung, Die Schastrommel, Nr. 12, sind Dominik Steigers agrammatische Biometrische Texte erschienen. So wie Max Ernst als zeichnerisches Komplementär zum surrealistischen Schnellschreibemodus die „Frottage“ entdeckte, ein Durchreibeverfahren, das vorgefundene Strukturen zu weiteren Anregungen aufs Papier bannte, erfand Steiger als Kontrapunkt zu seinen Schreibverfahren die in Zeilen angeordneten Zeichen-Zeichnungen vom „Knöcheltyp“:

"Die Knöchelchen-Zeichnungen waren meine ersten Bilder 1972/73. Sie waren einer Zergliederungsphase in meinen schriftlichen Arbeiten gefolgt an einem Punkt, wo die Schreibarbeit an die Knöchelchen stieß. Da hörte sie für eine Weile ganz auf, und es folgte das ledige Aufzeichnen vieler einzelner Knöchelchen in Zeilen, was ein listenmäßiges Aussehen hat." (Steiger 1982, 1)

aus der Serie Knöchelchen, 1973, Bleistift auf Papier, 21 x 29,7 cm

Neben týche ist der griechische Begriff für Zufall autómaton, das, was ohne menschliche Zweckorientierung tätig wird, das Systemfremde, das zu Modifikationen zwingt. Aristoteles unterteilt die Ursachen in vier Typen, in denen der Zufall keinen Status hat: Form als Ursache, Ziel-Zweck als Ursache, materielle Ursache und bewegende Ursache. Für Zufall verwendet er eben die Worte autómaton und týche, wobei týche (glückliche Fügung, für den Einfall wahrscheinlich die wesentlichere Zufallsart) dem autómaton (steht für von menschlichen, zweckgerichteten Handlungen unabhängige Naturprozesse) untergeordnet ist. Das „Zufällige“ wird dann nur hinsichtlich eines zu erreichenden oder eines erreichten Ziels oder Zwecks bestimmt, wobei diese noch nicht besetzt sind, z. B. mit Lustmaximierung oder Ähnlichem. Je nach Anschauung könnte von einem äußeren, spekulativen Standpunkt aus, der sich die Erforschung der Wirkungszusammenhänge im Sinne Freuds: von rhetorischer Technik, Erwartung, intellektueller Aufwendung, Besetzung, Verschiebung und Ersparnis etc. spart, Motivation durch das Sprachmaterial aristotelisch entweder der „Form als Ursache“ oder der „materiellen Ursache“ zugeschlagen werden, die auf ein sehr wohl orientiertes, zur Repräsentation fähiges System wirkt, dessen Verhalten (samt seinen Spuren) zwar beobachtbar, dessen Werteskalen und konditionierende Parameter wie z. B. kulturelle Faktoren des Umfelds, Erziehung und andere biografische Elemente, organische Bedingtheiten etc. aber nicht unmittelbar (sondern nur auf Umwegen wie jene gesprächsbezogenen Freuds oder der sozialen oder gar Neuro-Wissenschaften etc.) einsehbar sind. Mit einem solchen „philosophischen“ Ansatz wäre das System deterministisch weiter gefasst, Zufälle, und seien es die jener ökonomisch unterscheidbaren Zeichenkonstellationen, die wir mit Bedeutungen belegen, hätten keinen Platz mehr bzw. wären eingemeindet, der Traum von einem sich wie auch immer zusammensetzenden Selbst und seinen freien Assoziationen wäre zum Platzen gebracht, alles, was wie weit auch immer den Normen entgegenlaufend formuliert und gesetzt wird, wäre strategieverdächtig.

Als Beispiel für einen entkorksenden Mechanismus, der gleichzeitig selbsterklärend den oder einen STEIGer’schen „mechanikus“ ins Bild bringt, ist das Akrostichon von GEIST, einem Teilanagramm des Namens des Künstlers, der die Fotografie auf dem Rückendeckel des Werkkataloges THINGUMMY (Steiger 1994, das Anagramm „steigert“ sich als Titel des zuletzt erschienen Bandes von Dominik Steiger zu mon dieu es geistert [Steiger 2007]) zeigt, in weißen Buchstaben in vertikaler Anordnung auf die dunkle Jacke des Künstlers gemalt, der – die Hände wie schützend über den Kopf haltend – der Kameralinse den Rücken zeigt. Steiger dazu im „Nachtrag zum Bordello“:

"Im Hauptbild GEIST wird mit dem Akrostichon GREIF EROTE INNRE SAMEN TASTE angedeutet, wie durch kundige Bedienung des inneren Automaten mittels metaphorischer Samentaste Geistbildnerei (musisches Muß) zu treiben wäre; nach meiner ‚letterfähigen’ Auffassung, ein psychohaptisches Geschicklichkeitsspiel an erotischer Glücksdrehmechanik." (Steiger 1997, 81)

GEIST-Letterfalljacke, 1990, gelbe Farbe auf blauem Baumwollgrund

Das autómaton wäre hier die Buchstabenzusammensetzung des Wortes „Geist“, die strukturell nichts mit dem zu tun hat, was das Wort bezeichnet. Steiger kommt – eine alte poetische Technik nützend, die als Unterart der Freud’schen Wortwitztechnik „Verdichtung mit Ersatzbildung“ gelten kann – zu einer Definition eines „inneren Automaten“ in Befehlsform. Ein paar Seiten weiter ist ein Brief Steigers abgedruckt, in dem er über „LETTERS & GENTLEMEN VÖGELN“ schreibt: „also nichts anderes als eine pikante Formel für längst Bekanntes, nämlich Prägung durch Eigenname, allgemeiner: psychische Determiniertheit durch Vokabular.“ (Steiger 1997, 83) Der Prägung durch den „Steig“ des Namens wird mithilfe von Permutation zu „Geist“ entkommen, der Determiniertheit durch das Wort mithilfe des Akrostichons, denn die psychische Determiniertheit kommt ja durch nichts anderes zustande als durch Konvention, ein bestimmtes Wort auf einen bestimmten Gegenstand(sbereich) zu beziehen. Sieht man mit Mallarmé die poetischen Techniken (bei ihm steht für diese der vergöttlichte Vers, den Philosophen, die an logische Abbildungen glauben, genügt der Satz) als Versuch, den zufälligen Zusammenhang zwischen Wort bzw. Name und Gegenstand zu kompensieren, fällt auch die Umwidmung der Buchstaben des Wortes zu Anfangsbuchstaben darunter. Gesteht man dem autómaton dieser Zerlegung zu, dass aus ihm durch von Tabu und Kontrolle (des Wörterbuchs) befreite Assoziation Geist emergiert, der sich die Worte zu den Anfangsbuchstaben sucht, hat Steigers Reduktion von „Geist“ auf das, was er nicht ist und der Name nicht bedeutet, ihre Mission erfüllt. (Einen ähnlichen Ansatz hat Michel Leiris in seinem poetischen Wörterbuch sehr viel weiter verfolgt.) Nun scheinen die Assoziationen selbst wieder durch Freuds Theorie geleitet, und mit der metaphorischen Samentaste spielt Steiger auf Figurenbildung an, die nicht nur auf konkreter Zeichenebene semantisch abhängig ist.

Sobald spekulativ ein System postuliert wird, scheint eine Dichotomie unvermeidlich, nämlich jene Einteilung in das, was zum System gehört, und in das, was nicht dazugehört. Nichts spricht aber dagegen, dass sich auch das, was nicht dazu gehört, organisiert. Das Semantische, also das Kategoriensystem, das die Bedeutungen hinsichtlich der Merkmale, Überschneidungen, Ausschlüsse etc. organisiert, wäre eines, ein anderes wäre das Syntaktische oder das über das Grammatikalische hinaus erweiterte Rhetorische bzw. Poetische, das die Ausdrucksmöglichkeiten organisiert. Im Hinblick auf die „psychische Determiniertheit“ muss diesen ein drittes System über- und – insofern es ihrer Wirkung unterliegt – auch untergeordnet werden, das eigentlich Psychologische, das auf die Ersteren zugreifen, sie repräsentieren, energetisch besetzen, einander zuordnen und sie miteinander ins Spiel bringen und somit eben auch rezipieren kann, in dem die Gedanken und Besetzungen stattfinden und das eigenen Gesetzmäßigkeiten und Aufteilungen (z. B. in Bewusstes und Unbewusstes) unterworfen ist. In seiner Untersuchung Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten unterscheidet Sigmund Freud genau zwischen dem „Gedankengang“ und seiner rhetorischen „Einkleidung“, weil es, um die vom Witz gesteuerten Mechanismen aufzudecken, unter anderem eben darum geht, festzustellen, ob die witzige Wirkung von einem Ausdruck, einer bestimmten Zeichenkombination abhängig ist, also allgemein von rhetorisch-technischen Zusammenstellungen, die nicht ersetzt werden können, ohne dass die witzige Wirkung verloren geht (Wortwitze im weiteren Sinn), oder eben nicht (Gedankenwitze); insofern kann bei Freud von einer Wirkungspoetik gesprochen werden. Wenn Dominik Steiger, der die rhetorischen Witztechniken bei seinen literarischen Versuchen sonst reichlich zur Anwendung kommen lässt, einmal in die Nähe der eigentlichen Erzählform des Witzes gerät, scheint er die technisch wenig aufwendige des harmlosen Gedankenwitzes zu bevorzugen, so bei den wahrscheinlich vorgefundenen (vgl. den Beitrag von Jörg Drews in diesem Band) und einheitlich in bewusst naiver Erzählweise gehaltenen Kurzprosatexten in Vierundachtzig Österreichische Erzähler (der Titel ließe eher Stilübungen in der Art Raymond Queneaus erwarten); als Beispiel bringe ich die mäßig witzige Anekdote mit dem Titel „Pompeji“ (der Witz des Ganzen liegt im Scheitern des Einzelnen) eines gewissen „M. Grüner“, die sich einer einfachen Zeitverschiebung und künstlichem Schwäbeln verdankt:

"Während meines Aufenthalts in der Nähe von Neapel wurde ich von einem Ehepaar gefragt, was man besichtigen könne. Ich verwies die beiden Leute auf Pompeji. Daraufhin meinte die Frau, „was es da zu sehen gäbe“? Ob sie noch nie etwas von den letzten Tagen von Pompeji gehört habe, fragte ich zurück. Da mischte sich der Gatte ein: „Wisse sie, mir habe in de letschte Tage ja kei Zeitung mehr gelese!“ "(Steiger 1970, 35)

Zum Vergleich, der zeigen soll, dass Dominik Steiger, wenn er poetischere Formen wählt, in harmlosen Bildern auch der Witzleistung ähnliche Zusammenhänge ein wenig weniger harmloser Art ins Spiel bringen kann, ein Gedicht aus ZELL FESCH (zu beachten die prosaische Schlüsselrolle der mittleren Strophe):

"DREI MALER IM PRATER

rasch ein Hund

wenn der Stecken fliegt

Ponsel ins Maul

Am Lusthaus schnappt

sich pinseldicke Dirn

ein Maler

wudle Ente

Bürzel wacker

hui mal was"

(Steiger 1984)

In seinem in sink um i alle minuti abgedruckten Aufsatz „‚wer mögte das sein? (ich doch nicht).‘ Zu Dominik Steigers munterbewussten Sinngummis“ (Steiger 2001, 69) hält Thomas Eder die Arbeiten Dominik Steigers dafür prädestiniert, die Rezeptionsästhetik wiederzubeleben, allerdings unter bestimmten Vorbedingungen, nämlich jenen, die einen in Psychoanalyse und Surrealismus versierten Rezipienten voraussetzen:

„Die Beschreibung der Differenzen, die Steigers Prosa bei allen Gemeinsamkeiten von einem psychoanalytischen Konzept der ‚Verdichtung‘ und von einer surrealistischen Demonstration des Unbewussten in assoziativ-automatischem Schreiben trennen, kann das Eigene der ,Sinngummis‘ erhellen.“ Und: „In den Worten der Rezeptionsästhetik gesprochen geht es darum zu zeigen, was an der ästhetischen Wirkung von Steigers Prosa den ,Erwartungshorizont‘ des Lesers, der Psychoanalyse und Surrealismus rezipiert hat, übersteigt.“ (ebd., 70)

Thomas Eder zieht zur Illustration Oswald Wieners spekulatives, von Piaget inspiriertes Modell des irritierbaren Schemas heran:

"ein Kampf findet statt zwischen den alten Tendenzen und dem sperrigen Element, welch letzteres eben zugleich die Erwartung verzerrt, wenn der Beobachter dies zuläßt. Ein eingefahrenes Schema ist vorbewußt geworden (wenn es denn je den Bereich des Unbewußten verlassen hat). Seine Nachführung läuft „automatisch“, man kann sich auf die konventionellen Variationen richten und ihre Stimmigkeit „erscheint“ ganz einfach als Genuß, oder Überdruß. etc." (ebd.)

Nun könnte man unterstellen, dass hier Oswald Wiener nur allgemeiner beschreibt, was Freud an den rhetorischen Schemata der Witze untersucht, die Begriffe „vorbewußt“ und „das Unbewußte“ stammen ja aus Freuds Theorien. In seiner Untersuchung über den Witz weist dieser wiederholt darauf hin, wie wichtig es sei, zwischen dem (in seltensten Fällen Bekannten), der den Witz herstellt, und dem, der den Witz rezipiert, zu differenzieren, aus dem einfachen Grund, dass beim (für das Austricksen der Hemmungen notwendigen) Verschlüsseln jene Gedankenarbeit erst geleistet werden müsse, die sich der Rezipient dann erspare. Der theoretisierende Analytiker dagegen befindet sich in einer Zwischenstellung, denn insofern er nicht nur entschlüsseln und (Wunsch- etc.) Gedanken freilegen, sondern poetologische oder technische Aussagen darüber treffen will, wie der Witz (oder der Traum) verschlüsselt, unifiziert etc., läuft die Erklärungsrichtung nicht Unbewusstes – Vorbewusstes – Bewusstes, sondern umgekehrt. Gerade die Traumarbeit soll ja zum großen Teil darin bestehen, Gedanken, Wünsche usw., die uns beim Schlafen hindern könnten, in scheinbar harmlose Zusammenhänge und Visionen der Erfüllung zu übersetzen.

Als Kommentar Dominik Steigers zu (Wieners) Theorien und Lehrsätzen an sich könnte übrigens der Spaß gelesen werden, den er sich in im atemholen sind zweierlei gnaden macht – mit Seitenscherz für Akademiker: „Verlag für fremdsprachige Literatur, Peking 1965“ – wo Oswald Wiener folgende Bemerkung zugeschrieben wird: „die verbesserung von mitteleuropa wird unter anderem durch wirksamere vermittlung von merksätzen bewerkstelligt werden.“ Steiger setzt dem die Bemerkung hinzu: „von der wirksamen vermittlung eines merksatzes kann nur dann die rede sein, wenn seine rezitative bewältigung gegeben scheint.“ Und „unter dem motto von göthe“, das den Titel geliefert hat und fortsetzt: „die luft einziehen – sich ihrer entladen./ jenes bedrängt – dieses erfrischt. / so wunderbar ist das leben gemischt […]“ gibt Steiger dann Anleitungen zu Atemübungen zwecks besseren Rezitierens, die mit dem biografischen Merksatz enden: „antiquitätenhändler kurt kalb, wien drei, rennweg zwei, im palais schwarzenberg, erwartet auch meinen geschätzten besuch.“ (ebd., 13) und mit der Aufforderung an den Leser, auf kleinen Zetteln, die in einem Kuvert am Rückendeckel des Hefts bereitgestellt werden, selbst Merksätze zu verfassen.

Über sein damaliges Umfeld, vor allem durch die Wiener Gruppe bestimmt, kommt Steiger auch in anderem Zusammenhang zu sprechen:

"bekanntschaft mit dem lustigen bilderhändler vom palais schwarzenberg (schwarzerd revisted) und mit den prometheischen genies konrad (verstand einen zu rädern) und oswald (potenz & präpotenz). […] betr. andere 82 83 mitformelnde elemente: brus – charakter u. strich, nitsch – jovialer jupiterism, rot-h-tor, thomkins – sin komth, beuys –yesu b, und zeter a… " (Steiger 2001, 7f.)

Zurück zur Theorie: natürlich ist es richtig, dass die psychoanalytische selbst zu irritierbaren Schemata geführt hat, d. h. zu einer eigenen Begrifflichkeit. Freud ist Experte im Aufbau von sprachlichen Kategorien und entwickelt sich in Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten geradezu zu einem Linné des Witzes, der ständig versucht seine Klassifikationen zu verdeutlichen und zu verfeinern und an neue Witze, die sich den bisherigen Einteilungen nicht fügen wollen, anzupassen. Die positiven Daten bilden die gesammelten Witze, und er versucht neben dem Aufdecken ihrer rhetorischen Wirkungsweise gleichsam eine Gattungspoetik des Witzes abzuleiten. Im Zusammenhang mit einer Rezeptionsästhetik ist auch darauf zu achten, dass Freud darauf besteht, dass das Entstehen des Witzes sowohl Gedankenarbeit wie unbewusste Verknüpfungen voraussetzt – „Der Witz hat in ganz hervorragender Weise den Charakter eines ungewollten ,Einfalls‘“ (Freud 1958, 136) –, die Gedankenersparnis beim Rezipieren bringe dann die Abfuhr der überschüssigen Energie (durch Lachen) mit sich. Die Kategorienbildung bei Freud mag sogar den Zweck einer Rhetorik der Wissenschaftlichkeit haben, die helfen soll, die psychoanalytischen Erklärungen über die Gründe der Witzarbeit und damit die spekulative psychologische Theorie der Psychoanalyse selbst besser an die Lesenden zu bringen. Diese Erklärungen, und nicht die sprachliche und symbolische Analyse der Rhetorik der Ausdrucksformen und Strategien von Witzen oder Träumen, scheinen die Schemata zu sein, die nach Thomas Eder von Dominik Steigers Arbeiten genarrt werden, und die auch bei den meisten Rezipienten vorausgesetzt werden können, weil sie schon in Alltagsphilosophie übergegangen sind:

"Weil die „Sinngummis“ nicht nur über automatischen Verfahren errichtet sind und weil sie nicht ausschließlich einen Einblick in eventuell verschüttete Bewußtseinsschichten ihres Verfassers geben sollen – so als ob Literatur diese Schichten in aufschlüsselbares Material verwandelte –, können sie gerade die ansonsten uneingestandenen Vorausannahmen des automatischen Schreibens und der psychoanalytischen Textdeutung in den Blick rücken. Dies gelingt, weil sie auf der Rezeptionsseite auf die Kenntnis dieser Vorausannahmen setzen. Symbolistische und psychoanalytische Klischees werden nicht befolgt oder bedient, sondern als solche erst bewußt, weil sie mit ebenso klischierten Versatzstücken aus den unterschiedlichsten Stillagen der Literatur, aus märchenhafter Volkstradition, Mythologie, Bibeltheologie, Privatsprachlichem, Trivial-literatur, Tierfabeln etc. etc. angereichert werden." (Steiger 2001, 71f.)

Die Vorgänge im Unbewussten, die verdichtenden, verschiebenden etc. Techniken des Verschlüsselns sind nicht gleichzusetzen mit eventuell Vergessenem oder Verdrängtem, das diese Techniken motiviert. Der Witz des Witzes liegt nach Freud dagegen gerade darin, dass durch die (halb vorbewusste oder unbewusste) Gedankenarbeit plötzliches und unangestrengtes Verstehen von sonst durch den Verstand Zensuriertem möglich wird. Der Witz funktioniert nicht, wenn das Verstehen – nicht wegen mangelnder Intelligenz, sondern wegen ungenügender rhetorischer Aufbereitung – schwer fällt. Den Hinweis, wo seine Arbeiten innerhalb einer Poetik Freuds (im weiteren Sinne) zu platzieren sind, und der Thomas Eder insofern recht gibt, als beim Tagträumenden ein wacheres Bewusstsein als beim wirklichen Träumer vorausgesetzt werden darf, liefert Dominik Steiger selbst. So schreibt er zum Beispiel in seinem „erklärungsversuch zu ,arbeit der aufhebung‘ aus meinem lebenslauf“ im zur Ausstellung in der Galerie Hohenlohe & Kalb im Jahr 2000 bei „Buchdienst Fesch-Tagtraumarbeiterpartei“ erschienenen Katalog Dominik Steiger / 60 JAHRE / TISCH TRAUM A:

"schon beim überfliegen meines vorletzten buches „thingummy“, Droschl verlag 1994, begriff ich mich in anlehnung an herr Freud als tagtraumarbeiter leicht. mehr noch nach fertigstellung meines letzten buches „singummis à la minute“, selber verlag, 1997, einer sammlung fänofonogrammatischer versuche selbstaufhebender art mit der nebenansicht, spirtuelle levitationsereignisse bei anderen zu provozieren sowie brausepulver zu geistigem lift fertig mitzuliefern."

Steiger platziert sich also als „tagtraumarbeiter leicht“ (in ABRA PALAVRA tritt der Tagtraum auch schwerer auf: „die kiste mit dem porzellan trägt der große Tagtraumelefant.“ (Steiger 2004, 24)), und das ziemlich virtuos, denn Witze im strengen (im technischen wie gedanklichen) Sinn hat er, wie gesagt, eigentlich keine geschrieben, und als reiner Traumarbeiter hätte dem Schlafenden das Quäntchen Bewusstsein gefehlt, das trotz aller Lockerungen zum Schreiben oder Zeichnen auf jeden Fall notwendig ist. (Dazu Dieter Roth auf einer Zeichnung, die ihn selbst mit wenigen Strichen darstellt: „Schreiben ist schwieriger als zeichnen und malen.“) Um den psychoanalytischen Bezug der Arbeiten Dominik Steigers besser einzugrenzen, ist es vielleicht hilfreich, die Unterscheidungen in Erinnerung zu rufen, die Freud zwischen „Traumarbeit“ und „Witzarbeit“ macht. Der Traum sei „ein vollkommen asoziales seelisches Produkt“ (Freud 1958, 145), das einem anderen als dem, der träumt, nichts mitzuteilen habe.

„Er darf sich darum ungehindert des Mechanismus, der die unbewußten Denkvorgänge beherrscht, bis zu einer nicht mehr redressierbaren Entstellung bedienen.“ (ebd.) Der Witz dagegen sei „die sozialste aller auf Lustgewinn zielenden seelischen Leistungen“ (ebd.). Dies ist nur der Hintergrund zur sozialen Funktion oder eben Dysfunktion von Witz und Traum, der noch nichts über die unterschiedlichen Strategien der beiden impliziert. Er lässt aber die Konturen des „tagtraumarbeiters“ Steiger schon deutlicher hervortreten, denn „Tag“ macht die Traumarbeit der Witzarbeit ähnlicher, d. h. kann als Absicht gedeutet werden, die Grenzen der Mitteilbarkeit nicht zu überschreiten, woran Steiger als Autor etwas liegen wird, wie auch im obigen Zitat das „bei anderen zu provozieren etc.“ zeigt. Nach Freud besteht die Traumarbeit wie in Umkehrung zur oben erwähnten Irritationsarbeit Wieners an eingefahrenen Schemata darin, bewusste und vorbewusste Gedanken und Wünsche beruhigend zu verschlüsseln; eine ihrer Hauptstrategien dabei ist die „Verschiebung“: Nebensächliches wird wesentlich, Wesentliches wird nebensächlich:

"Es ist nicht abzuweisen, daß Stücke dieser indirekten Darstellung bereits in den vorbewußten Gedanken des Traumes zustande kommen, so z. B. die symbolische und die Gleichnisdarstellung, weil sonst der Gedanke es überhaupt nicht zur Stufe des vorbewußten Ausdrucks gebracht hätte. Indirekte Darstellungen dieser Art und Anspielungen, deren Beziehung zum Eigentlichen leicht auffindbar ist, sind ja zulässige und vielgebrauchte Ausdrucksmittel auch in unserem bewußten Denken. Die Traumarbeit übertreibt aber die Anwendung dieser Mittel der indirekten Darstellung ins Schrankenlose. Jede Art von Zusammenhang wird unter dem Drucke der Zensur zum Ersatz durch Anspielung gut genug, die Verschiebung von einem 86 87 Element her ist auf jedes andere gestattet. Ganz besonders auffällig und für die Traumarbeit charakteristisch ist die Ersetzung der inneren Assoziationen (Ähnlichkeit, Kausalzusammenhang usw.) durch die sogenannten äußeren (Gleichzeitigkeit, Kontiguität im Raum, Gleichklang)." (ebd.,139)

Dass sich Dominik Steiger bei Verschiebungen wenige Verbote auferlegt, springt schnell ins Auge. „Ich traf eine bekannte, rede Du. ihr bart am mund schlug mir ins gesicht. wind unterm torbogen. gelber färber in der nische verkauft löwen. eine art hunde mit bart und löwenzahn.“ (Steiger 2001, 35) Sowohl räumliche Kontiguität von „torbogen“ zu „nische“ wie Klangassoziation von „löwen“ zu „löwenzahn“ sind in diesem Beispiel, nach dem nicht lange gesucht werden musste, gegeben. Zum besonders schönen Beweis, dass der wirklichkeitsentbundene Steiger (sieht man von „unterseeburg-burggrab“ ab) weder räumlicher noch klanglicher Nähe bedarf, um weit herumzuschweifen und traumartig tabulos ins Freie der eigenen Bedingungen zu assoziieren, und als weiterer Beitrag zur chaotischen Auslese, eine Stelle mit Anrede aus ABRA PALAVRA:

"Ich war ein armes schwein und fühlte, du. du kamst übern berg, ich verlor dich aber bald. gestern fand ich dich wieder bergauf, deine waden zerdrückt, klee am mund. heute sitzen wir in der laube der alten deutschen oper mit weisem bier und du erzählst. götti hätte dich zuerst verführt dann der englische lehrer von schule. das leben hob und senkte, die meere ruhten eine weile; nur glossen am abend, würdiges dunkel nachts. gründe voll von blüten im tiefen alten reich, in seiner weiche eine unterseeburg, ihre mauern von grobem marzipan, die helmzier reingewaschen mit milch. tiefste stille im burggrab." (Steiger 2004, 21)

Auch in den Witzen, die wie der Traum Hemmungen zu überwinden hätten, vor allem in den Gedankenwitzen, sieht Freud die Verschiebungsmittel zur Anwendung kommen, aber sie seien, wenn sie vorkommen, den „Grenzen des bewußten Denkens“ unterworfen, die Freud nicht näher definiert, die einzuhalten aber sicher zu den Voraussetzungen nicht nur für die Kommunizierbarkeit der Witze, sondern auch für die Entstehung ihrer Pointen gehört:

"Der Witz schafft nämlich nicht Kompromisse wie der Traum, er weicht der Hemmung nicht aus, sondern er besteht darauf, das Spiel mit dem Wort oder dem Unsinn unverändert zu erhalten, beschränkt sich aber auf die Auswahl von Fällen, in denen dieses Spiel oder dieser Unsinn doch gleichzeitig zulässig (Scherz) oder sinnreich (Witz) erscheinen kann, dank der Vieldeutigkeit der Worte und der Mannigfaltigkeit der Denkrelationen." (Freud 1958,140)

Dass Freud hier den Witz Subjekt sein lässt, das „schafft“ etc., hat vielleicht damit zu tun, dass er offen lassen will, ob er von der Entstehung oder der Wirkung des Witzes spricht, was sonst in Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten gemäß seiner Betonung dieses Unterschieds sehr explizit entschieden wird. Eine gewisse Unvereinbarkeit scheint auch dadurch gegeben, dass er an anderen Stellen, wenn er über die Entstehung des Witzes spricht, die eigentlich witzige Verknüpfung eben im Vor- oder Unbewussten geschehen lässt, weshalb dem Witzerfinder diese Verknüpfung wie ein plötzlicher Einfall vorkomme. Dass also der Witz den „Grenzen des bewußten Denkens“ verpflichtet ist, dass er verstanden werden muss, und zwar ohne Anstrengung, stört nicht seine Beziehung zum Unbewussten. Noch deutlicher wird dies, wenn Freud den Witz gegen das „Komische“ abgrenzt – „Die Quelle der Lust des Witzes mußten wir in das Unbewußte verlegen; keine Veranlassung zur gleichen Lokalisation ist für das Komische erfindlich.“ – und zur folgenden Definition des Witzes gelangt: „Der Witz ist sozusagen der Beitrag zur Komik aus dem Bereich des Unbewußten.“ (ebd., 169) Das Komische erklärt Freud, indem er unter anderem auf Bergson zurückgreift, für den die komische Nachahmung mit der Aufdeckung psychischer Automatismen zusammenhängt, weswegen uns alles, was uns bei lebenden Personen an unbelebte Mechanismen denken lässt, komisch vorkomme. Freud genügt diese Erklärung nicht, weil sie den Mechanismus, den er hinter der Wirkweise des Komischen vermutet, unaufgedeckt lässt. Diesen erklärt er einmal mehr durch „überflüssig gewordenen Erwartungsaufwand“, der dadurch entstünde, dass wir mehr Aufwand zu benötigen glauben, um Lebendiges zu verstehen, und den wir bei repetitiven oder mechanischen Abläufen, ähnlich wie bei täuschender Nachahmung oder dem Erkennen von Gleichheit von Gesichtszügen durch Lachen loswerden. Aber auch das Vergleichen selbst fällt bei Freud in diesen Erklärungszusammenhang:

"Die ursprüngliche Lust am Wiederfinden des Gleichen […] ist nicht das einzige Motiv, welches den Gebrauch der Vergleichung begünstigt; es kommt hinzu, daß das Gleichnis einer Verwendung fähig ist, welche eine Erleichterung der intellektuellen Arbeit mit sich bringt, wenn man nämlich, wie zumeist üblich, das Unbekanntere mit dem Bekannteren, das Abstrakte mit dem Konkreten vergleicht und durch diesen Vergleich das Fremdere und Schwierigere erläutert. Mit jeder solchen Vergleichung, speziell des Abstrakten mit dem Sachlichen, ist eine gewisse Herabsetzung und eine gewisse Ersparung an Abstraktionsaufwand (im Sinne einer Vorstellungsmimik) verbunden, doch reicht dieselbe natürlich nicht hin, um den Charakter des Komischen deutlich hervortreten zu lassen. […] Unzweifelhaft komisch wird die Vergleichung, wenn der Niveauunterschied des Abstraktionsaufwandes zwischen beiden Verglichenen sich steigert, wenn etwas Ernstes und Fremdes, insbesondere intellektueller oder moralischer Natur, in den Vergleich mit etwas Banalem und Niedrigem gezogen wird." (ebd., 171)

Gleich am Anfang seiner Witz-Untersuchungen nennt Freud den „glänzenden Namen des Dichters Jean Paul“ und bezeichnet ihn als einen seiner Vorgänger in der Bearbeitung des Witzes. Er zitiert dessen Bild: „Der Witz ist der verkleidete Priester, der jedes Paar traut.“ und fügt diesem ein weiteres von Th. Vischer hinzu: „Er traut die Paare am liebsten, deren Verbindung die Verwandten nicht dulden wollen.“ (ebd., 9) Ich bringe eine weitere Stelle aus den Schriften Dominik Steigers, um zu überzeugen, dass dies auch als eine allgemeine Charakteristik seiner Arbeiten gelten kann: Als Beispiel nehme ich den Anfang des „zufällig“ aufgeschlagenen „Beispiel“ aus sink um i alle minuti:

"sein pferd wuchs als sie an die berge kamen. große gelbe mauer, dahinter vier schwarze riegel vor steinernem schreibpapier mit gürteln aus alabaster und den klemmen des Polykrates. helles mittagslicht spelzt sein gesicht zu kornfeldeindruck – etwas brötchenhaft gedacht." (Steiger 2001, 14)

Das „steinerne schreibpapier“ ist so eine Trauung des (hier von seinen Materialeigenschaften her) Entfernten. Ansonsten wird den Assoziationen wenig in den Weg gelegt: von „schwarz“ zu „gelb“, von „steinerne“ zu „alabaster“, von „spelzt“ zu „korn“ zu „brötchen“. Die komische Wirkung des „brötchenhaft gedachten“ im letzten Satz, ist die kommentierte Überblendung der Bildlichkeit, durch die in Verbform gebrachten Spelzen und die angedeutete Unifizierung, da mit „Gesicht“ ja sowohl „Antlitz“ wie „Vision“ verbunden werden kann. In seiner Vorschule der Ästhetik bringt Jean Paul ein Beispiel zur Wirkung des Komischen, bei dem er, die Wirkung des größeren Kontexts bei Seite lassend, den Grund des Komischen in „die Ansicht der Heldin“ verlegt, oder besser, in unsere aus dem von ihr Gesagten abgeleitete Annahme über ihre Ansicht:

"Wenn z. B. Pope in seinem Lockenraube von der Heldin sagt: „Sie sei in Angst, ob sie ihre Ehre oder ihr Brokatkleid beflecken, ob sie ihr Gebet oder eine Maskerade versäumen, auf dem Ball ihr Herz oder ihr Halsband verlieren werde“, so entspringt die komische Kraft nur aus der Ansicht der Heldin, aber nicht aus der Paarung des Ungleichartigen; denn in Campens Wörterbuch würde „Beflecken“ der Kleider und darauf als uneigentlich das Beflecken der Ehre ohne komische Wirkung stehen." (Jean Paul 1995, 123)

Ist es auch schwierig zu beurteilen, ob zwischen „Herz“ und „Halsband“ „der Niveauunterschied des Abstraktionsaufwandes“ zur komischen Geltung kommt, so wird doch durch das „verlieren“ uneigentlich und eigentlich Bedeutetes gepaart. Jean Paul wehrt sich gegen die sprachtechnische Erklärung und will die Wirkung eben lieber rezeptionsästhetisch in der Ansicht des Lesers über die Ansicht der Heldin verankert wissen. Einen ganz ähnlichen Vergleich, bei dem aber nicht das Lehrbuch die rhetorische Wirkung der Witztechnik widerlegen soll, bringt Freud hinsichtlich der „Zote“, die sexuelle Tatsachen und Verhältnisse zur Darstellung bringe. Freud weist darauf hin, dass dies auch über einen Vortrag über die Anatomie der Sexualorgane oder über die Physiologie der Zeugung gesagt werden könne, der damit trotzdem keinen einzigen Berührungspunkt mit der Zote habe. Um den Unterschied der Zote zum Aufklärungsvortrag festzumachen, argumentiert Freud nicht formal, sondern mit dem Zweck der Zote, die den Zuhörer von der Erregung des Erzählers in Kenntnis setzen und bei ihm eine solche hervorrufen solle. Der sonst ins Feld geführte Tabubruch hätte als Zweck genügt, doch setzt die Argumentation mit Zwecken allgemein einen andern Untersuchungsrahmen, weil Sprechakte eben situationsbedingt verstanden werden müssen und von der Situation und kulturellen Koordinaten abhängt, ob eine Darstellung ein Tabubruch oder erregend etc. ist.
Die Begründung Jean Pauls, der das Wörterbuch herbeizieht, um zu beweisen, dass die Wirkungszusammenhänge nicht auf materialer Seite der Sprachformulierungen zu suchen seien, hat ihren Witz, denn „beflecken“ muss ja wirklich nur einmal dastehen, während unter erstens, zweitens etc. die verschiedenen Bedeutungen und Verwendungsmöglichkeiten dargelegt werden. Aber das zu erklärende Wort steht im Wörterbuch gleichsam noch sinnfrei, nicht mit einem doppelten oder vielfachen Sinn, denn seine Bedeutungen werden ja nacheinander eingeführt und kommen beim Lesen des zu erklärenden Ausdrucks nicht auf einmal zur Wirkung wie in den von Freud angeführten Witzen zur Illustration der Verwendung des Doppelsinns (Untergruppe: „Zweideutigkeit“), etwa Heines in die Nähe einer Zote kommende Charakterschilderung einer gefälligen Dame:  „Sie konnte nichts abschlagen außer ihr Wasser.“ (Freud 1958, 32) oder ein Beispiel aus den jüdischen Badehauswitzen, die bei Freud oft zum Zug kommen, das sich einer Variante des gleichzeitigen Eigentlich- und Uneigentlich- Nehmens verdankt: „Zwei Juden treffen in der Nähe des Badehauses zusammen. ,Hast du genommen ein Bad‘ fragt der eine. ,Wieso?‘ fragt der andere, ,fehlt eins?‘“ (ebd., 39) Allerdings kommt im letzten Beispiel der Doppelsinn von „genommen“ nicht gleich zu tragen, sondern wird erst durch die Gegenfrage des Befragten aktiviert. Freud sieht in der Verwendung des Doppelsinns von „genommen“ die „Technik“ des Witzes; wenn er aber den Witz selbst in der Gegenfrage liegend sieht, die beliebig formuliert werden könne, solange nur der Gedanke erhalten bleibt, der den unabgeschwächten Sinn von „nehmen“ aktiviert, liegt er nicht mehr weit von Jean Paul, der die komische Wirkung in der Ansicht der Heldin verankert. Bei diesem findet Freud auch einen exemplifizierenden Satz über die Witztechnik: „[…] man wird hier an ein Wort Jean Pauls erinnert, welches eben diese Natur des Witzes in demselben Ausspruche erklärt und beweist: ‚So sehr sieget die bloße Stellung, es sei der Krieger oder der Sätze.‘“ (Freud 1958, 14) 
Wie der Vergleich von konkreten mit abstrakten Dingen zählt der „Akt der Unifizierung“ bei Freud zu den „Techniken des Gedankenwitzes“, obwohl hier eindeutig die Zweideutigkeit von bestimmten Worten („nehmen“ und nicht etwa „einlassen“) im bestimmten (und nicht ersetzbaren) Zusammenhang mit einem anderen Wort („Bad“) für die Technik notwendig ist; Unersetzbarkeit ist also nicht das einzige Kriterium, dass die Wirkung von der Formulierung abhängig ist, es muss für den „Wortwitz“ auch mit dem Sprachmaterial selbst über den normalen grammatikalischen Sprachgebrauch etwas von Zeichen oder Silben abhängiges, assoziativ-ökonomisches geschehen, oder die kategorischen Grenzen lassen sich eben doch nicht so scharf ziehen. Im obigen Beispiel aus Jean Pauls Vorschule der Ästhetik wird durch die gemeinsamen Prädikate Ehre und Brokatkleid, Gebet und Maskerade, Herz und Halsband unifiziert. Freud bringt als Beispiel eine Kaskade von Genetivmetaphern Nestroys:

"Der Kommis Weinberl in Nestroys Posse „Einen Jux will er sich machen“, der sich ausmalt, wie er einmal als solider alter Handelsherr seiner Jugendtage gedenken wird, sagt: ,Wenn so im traulichen Gespräch das Eis aufg’hackt wird vor dem Magazin der Erinnerung, wann die G’wölbtür der Vorzeit wieder aufg’sperrt und die Pudel der Phantasie voll ang’raumt wird mit Waren von ehemals.‘ Das sind sicherlich Vergleichungen von abstrakten mit sehr gewöhnlichen konkreten Dingen, aber der Witz hängt – auschließlich oder nur zum Teile – an dem Umstand, daß ein Kommis sich dieser Vergleichungen bedient, die aus dem Bereiche seiner alltäglichen Tätigkeit genommen sind. Das Abstrakte aber in Beziehung zu diesem Gewöhnlichen, des sein Leben sonst voll ist, zu bringen, ist ein Akt von „Unifizierung“." (ebd., 69)

Als zu den besprochenen Darstellungsmodi passendes Beispiel aus Dominik Steigers Werk bringe ich eine Stelle aus seinem Brief an Herrn Breicha zur Entstehung des mit Günther Brus verfassten „Zwomans“ Jeden jeden Mittwoch von „Güdo Brusteiger“:

"Vier Lügen erzählen, mit dem lustigen Pferd vom Kaffeehaus ritten wir nach den ältesten Feldern. Denkmale von der Lombardischen löwin, Krachmaier, der an der straße gestorben war. Einfach Gammelkäse. wieder zu hause schlug es dies und das, stunden tassen. mit den nachmittagen stiegen nächte über die Mauer, die narben an ihrem Bein werden wir nicht vergessen. sie fror. ich hütete ihre weste brus ihre brüste. Nur Noch Weinen Und Wir Wären Ertrunken." (Steiger 1994, 131)

Bei „brus-brüste“ handelt es sich eindeutig um eine klangliche Wortwitztechnik, nämlich die von Freud als eine meist zur Herabwürdigung dienende (was in diesem Fall, zumindest was den Namensträger betrifft, nicht zutrifft) niedrige Art des Wortspiels kategorisierte, das Spiel mit Namen. Durch das Prädikat „schlug“ werden die „stunden“ und „tassen“ unifiziert (gedankenwitztechnisch), verzögert durch die Platzhalter „dies und das“, die vielleicht geschickt den von Freud postulierten Erwartungsaufwand steigern, mit unbesetztem „es“, wobei bei „tassen“ eher „zerschlagen“ zu erwarten wäre, während „stunden“ normalerweise von einer Uhr geschlagen werden. Bei den „nächten“ wird erst durch „narben an ihrem Bein“ klar, dass „stiegen“ nicht nur im uneigentlichen Sinn verstanden werden soll, ähnlich wie bei obigem Badewitz durch die Gegenfrage „fehlt eins?“ der eigentliche Sinn schlagend wird. Der kategorische Unsinn von Nächten mit Beinen kann auch einer weiteren von Freud beschriebenen Witztechnik zugeschrieben werden, dem Wörtlich-Nehmen von Bildern.
Eine Witztechnik, die für Freud zur „vielleicht zahlreichsten Gruppe von Witzen“ führt, und die unübersehbar und durchgängig die Texte Dominik Steigers prägt, ist die des „Kalauers“. Freud hält diese für die „niedrigste Abart des Wortwitzes“ in technischer Hinsicht, weil sie am leichtesten herzustellen sei. Es genüge eine auffallende Ähnlichkeit zweier Worte in Klang oder Struktur. Aussage oder Pointe sind beim Kalauer ja nicht zwingend. Freud bringt in seiner Beispielsammlung unter anderem „selbstreferentielle Kalauer“ eines Freundes, die eigentlich keine mehr sind:

"Als die Gesellschaft, die er einst so in Atem erhielt, der Verwunderung über seine Ausdauer Ausdruck gab, sagte er: ‚Ja ich liege hier auf der Ka-Lauer‘, und als man ihn bat endlich aufzuhören, stellte er die Bedingung, daß man ihn zum Poeta Ka-laureatus ernenne. Beides sind aber vortreffliche Verdichtungswitze mit Mischwortbildung. (Ich liege hier auf der Lauer, um Kalauer zu machen.)" (Freud 1958, 37)

Weil sich Freuds Freund auf das Machen von Kalauern bezieht wird eben mehr als ein Kalauer oder „Klangwitz“, wie Freud ihn auch nennt, daraus, nämlich – in Freuds Kategorien – ein Gedankenwitz, der sich der Technik der Verdichtung bedient. Dominik Steigers Virtuosität in diesem Genre lässt sich schon an den Lautmodulationen seiner Buchtitel erkennen, von THINGUMMY (1994) zu SINNGUMMIS À LA MINUTE (1997) zu sink um i alle minuti (2001) oder sprachübergreifend von „litter a tower [f. literatur] -husterei hysterie historie“ im schon zitierten „erklärungsversuch zu ,arbeit der aufhebung‘ aus meinem lebenslauf.“ (Steiger 2000) Auch mit Mischwortbildung geht bei Steiger die „autogräfliche fahrt nach den grotten“ (Steiger 1994, 15), „die sieben käse des mondes fallen in spalten von katarakten. hüpfen derwische neben dem nil mit traktaten. nihils flattern durcheinander. bunte hunde über ein schrecklecke mühle.“ (ebd., 19) Bei „fort aufs meer zu den blaugeschlagenen augen“ (ebd., 21) fühlt man sich an die Narben erinnert, die den Nächten Beine machen, denn durch das „geschlagenen“ wirkt „blau“ und „augen“ mehrfach besetzt, denn einerseits könnten die sehenden „augen“ vom „meer“ (mit ans andere Ufer schlagenden Wellen) mit der somit nicht mehr sekundären Eigenschaft „blau“ geschlagen sein, andererseits könnten wir uns auf dem Meer, z. B. indem wir von den Wellen unsanft an die Reling gestoßen werden, blaue Augen im Sinne von Blutergüssen holen, auch die „aufgeschlagenen Augen“ klingen irgendwie mit, und schließlich findet sich in der Zeichenfolge „blaugeschlagen“ die geordnete Teilmenge „auge“. Ein besonders effektiver wie einfacher Kalauer-Automatismus ist, Buchstaben wegzulassen, wenn sich daraus wieder Sinn ergibt, wie „WIEDER HOFFT – WIEDER OFT“ (Steiger 1979, 1). Noch einmal ans Meer: „Offene Wangen blättert mittleres Meer. Am Strand kniet es in Locken. Tümpelchen Tempelchen. Braven Mann verfrauten prüft Amorgen, rote frühe Söhnin der Sonne.“ (Steiger 1994, 23). Sehr leicht hergestellt und beim Vortrag kaum hörbar ist die Mischwortbildung aus dem Zusammenziehen von „am Morgen“. Die paradoxale Geschlechtsumwandlung von „Sohn“ verdankt sich vielleicht der Assoziation zu der grammatikalischen Zufälligkeit, die im Unterschied z. B. zum Französischen, im Deutschen dem Namen für den Begriff „Sonne“ das feminine Geschlecht zuordnet. Zur Vokalmodulation „Tümpelchen Tempelchen“ bringe ich noch eine aus Die verbesserte grosse sozialistische Oktoberrevolution: „Plötzlich schüttelte er unwillig seine Gedanken von der Schürze und machte seine Bluse mit dem Reißverschluß zu. Er fröstelte. Der Lette bückte sich nach den Latten.“ (Steiger 1967, „Die Fahne“) Der Austausch von Vokalen wird als Witztechnik von Freud hervorgehoben, wobei sich Kalauer und Witz überhaupt weniger sprachtechnisch unterscheiden, als darin, dass der Kalauer sich eben mit Unsinn begnügt, während der Witz Sinn und Pointe verpflichtet ist:

"Besonders gern modifiziert der Witz einen der Vokale des Wortes, z. B.: Von einem kaiserfeindlichen italienischen Dichter, der dann doch genötigt war, einen deutschen Kaiser in Hexametern zu besingen, sagt Hevesi: „Da er die Cäs a ren nicht auszurotten vermag, merzt er wenigstens die Cäs u ren aus.“ "(Freud 1958, 36)

Ein anderes Beispiel Freuds zum Witz mit Vokalmodifikation (der zugleich auch unter eine andere, poetologisch allgemeinst relevante Technik fällt, der „mehrfachen Verwendung des gleichen Materials“):

"Jemand hört von einem Herrn, der selbst als Jude geboren ist, eine gehässige Äußerung über jüdisches Wesen. „Herr Hofrat“ meint er, „Ihr Ant e semitismus war mir bekannt, Ihr Ant i semitismus ist mir neu.“ " (ebd., 26)

Nicht nur Lautmodifikation (der Reim ist dazu komplementär), in seinen sprachtechnischen Untersuchungen kommt Freud auf viele andere allgemein poetologisch relevante rhetorische Figuren wie Schüttelreim oder Chiasmus (auch eine Unterart zu „Verwendung des gleichen Materials“) zu sprechen. (So scheint die prinzipielle Voraussetzung des Witzes zu sein, dass er gestaltet ist). Ein Beispiel zum Chiasmus aus Spitzers Wiener Sparziergänge nennt Freud, der sich sonst wissenschaftlich und kühl gibt (und sich überaus belesen zeigt), einen „geradzu diabolisch guten Witz“:

"Das Ehepaar X lebt auf ziemlich großem Fuße. Nach der Ansicht der einen soll der Mann viel verdient und sich dabei etwas zurückgelegt haben, nach anderen wieder soll sich die Frau etwas zurückgelegt und dabei viel verdient haben." (ebd.)

Dazu Freud: „Je geringer die Abänderung ist, je eher man den Eindruck empfängt, verschiedener Sinn sei doch mit denselben Worten gesagt worden, desto besser ist in technischer Hinsicht der Witz.“ (ebd.) Vor allem in dieser technischen Hinsicht sind Freuds Untersuchungen zum Witz poetologisch verallgemeinerbar und lassen es – neben Dominik Steigers eigenen Stellungnahmen – sinnvoll erscheinen, vor ihrem Hintergrund die Arbeiten dieses Autors gegenzulesen. Dass sich ihre Anwendung mehr für die kleinen Textformen Steigers anbietet, ist schon in der Textsorte Witz angelegt, und für etwas längere Prosastücke wie die aus Wunderpost für Co-Piloten (Steiger 1968) werden jene „Techniken“ (wie Verschiebung, Assoziation etc.) für die Analyse fruchtbarer sein, die bei der Traumdeutung (und beim Gedankenwitz) die größere Rolle spielen. Je mehr sich die Analyse auf die strukturalen Aspekte beschränkt, desto weniger werden die Freuds Untersuchungen eigentlich motivierenden psychologischen und spekulativen Seiten seiner Erklärungsmodelle direkt mitsprechen. Dass seine Auslegungen hinsichtlich der Bedeutung der Symbolik zeitbedingt und schwer verallgemeinerbar sind, hat Freud selbst immer wieder festgestellt:

"Nur für wenige Materien hat sich eine allgemein gültige Traumsymbolik herausgebildet, auf Grund allgemein bekannter Anspielungen und Wortersetzungen. Ein gutes Teil dieser Symbolik hat übrigens der Traum mit den Psychoneurosen, den Sagen und Volksgebräuchen gemeinsam.
Ja, wenn man genauer zusieht, muß man erkennen, daß die Traumarbeit mit dieser Art von Ersetzung überhaupt nichts Originelles leistet. Zur Erreichung ihrer Zwecke, in diesem Falle der zensurfreien Darstellbarkeit, wandelt sie eben nur die Wege, die sie im unbewußten Denken bereits gebahnt vorfindet, bevorzugt sie jene Umwandlungen des verdrängten Materials, die als Witz und Anspielung auch bewußt werden dürfen und mit denen alle Phantasien der Neurotiker erfüllt sind." (Freud 1991, 348)

Wo die wirklichen Mechaniken in Freuds Modell angelegt sind, ist auch in diesem Zitat mit „zensurfreien“, „unbewußten“, „verdrängten“ etc. ablesbar. Wie er die Wirkungsweisen des Witzes in nicht-technischer Hinsicht erklärt, hat bei Dominik Steiger, dem je kleiner die Form desto näher der sinnentleerte Kalauer liegt, etwa: „LÄRMPILLEN - ERWIN / PER KERLIN WÄHNT / JE LIBERTINE WIRREN“ (Steiger 1994, 107), nur sehr bedingt etwas zu sagen. Dass den vom Sprachmaterial ausgehenden Spekulationen Freuds unter heutigen Maßstäben Mangel an Wissenschaftlichkeit (wie sie neurologische Untersuchungen für sich akklamieren, von denen sich Freud den Beweis seiner Theorien erhoffte) vorgeworfen werden kann, kompensieren sie einerseits durch eine bis ins Feinmechanisch-Rhetorische gehende Erklärungsmächtigkeit, die sich der Tatsache verdankt, dass qualitative Wirkungszusammenhänge verallgemeinert werden und introspektive Begründungen erlaubt sind, andererseits mit ihrer Fruchtbarkeit für Interpretation, weil die Rechtfertigungsgrundlage eben vor allem ein reichhaltiges Sprachmaterial darstellt. Gerade dort allerdings, wo naturwissenschaftlich angesetzt werden könnte, z. B. beim durch konditionierte Erwartung aufgebauten, überflüssig gewordenen Energieaufwand, der durch Lachen abgeführt würde etc., wirken die Theorien am spekulativsten, während die Analysen der Rhetorik und Symbolik nicht ihre eigene sprachinventive, rhetorische Methode verbergen können oder sollen, sondern vielmehr damit glänzen. Statistisch argumentierende, behaviouristisch ausgerichtete Experimentatoren, die Aussagen von Versuchspersonen bei bestimmten, oft recht einfallslosen (Sprach-)Wahrnehmungen z. B. zusammen mit deren Gehirnströmen beobachten, müssen sich ja im Sinne ihrer Wissenschaftlichkeit auf die Ergebnisse beschränken, für die ihre Experimente angelegt waren. Jede verallgemeinernde, falsifizierbare, gegen die Isolierung der Beobachtungen anstrebende Theorie, in der solche Ergebnisse eine Rolle spielen, wird hypothetisch, d. h. spekulativ sein; in gewissem Sinn nimmt die Wahrscheinlichkeit von wirklichen Kategorienfehlern mit der Strenge der Wissenschaft sogar zu, die z. B. dem Vernachlässigen der Konditionierung der Versuchspersonen durch den Versuch oder dem Ignorieren der Tatsache entspringen, dass Gehirnströme zwar beobachtbar, aber aus sich allein heraus nicht interpretierbar sind, alle Regelmäßigkeiten der Zusammenhänge von Reiz und Reaktion aber offen lassen müssen, ob und was sie im Einzelnen, etwa als „Gedanken“, bedeuten. Damit sich die Gesamtaussage nicht auf die Versuchsanordnung beschränkt, elektrische und symbolische Prozesse nicht nur parallel laufen oder in uninterpretierbaren Gewichtungen von Verknüpfungen enden, scheint es in diesem kognitiven Bereich auf jeden Fall immer noch Modelle zu brauchen. 
Um zu bestimmen, wo die Wissenschaften zu liegen kommen, wenn „brausepulver für geistigen lift“ produziert werden soll, bedarf es wohl keiner Topologie. Für das Unterlaufen der Zwecke, denen nach Freud sich die besprochenen Techniken verdanken, für das Spielen mit Witz, Komik und Humor, um sie zum Scheitern, zum kalauernden Versanden zu bringen, für Dominik Steigers offensichtliches, hinterlistiges Streben nach Naivität, gibt es bei Freud auch eine Erklärung:

"Die Lust des Witzes schien uns aus erspartem Hemmungsaufwand hervorzugehen, die der Komik aus erspartem Vorstellungs(Besetzungs)aufwand, und die des Humors aus erspartem Gefühlsaufwand. In allen drei Arbeitsweisen unseres seelischen Apparats stammt die Lust von einer Ersparung; alle drei kommen darin überein, daß sie Methoden darstellen, um aus der seelischen Tätigkeit eine Lust wiederzugewinnen, welche eigentlich erst durch die Entwicklung dieser Tätigkeit verlorengegangen ist. Denn die Euphorie, welche wir auf diesen Wegen zur erreichen streben, ist nichts anderes als die Stimmung einer Lebenszeit, in welcher wir unsere psychische Arbeit überhaupt mit geringem Aufwand zu bestreiten pflegten, die Stimmung unserer Kindheit, in der wir das Komische nicht kannten, des Witzes nicht fähig waren und den Humor nicht brauchten, um uns im Leben glücklich zu fühlen." (Freud 1958, 193)

 

Literatur:

Brus 1972–73 = Günther Brus (Hg.): Die Schastrommel. Organ der österreichischen Exilregierung, Nr. 12, (1972–73)

Freud 1958 = Sigmund Freud: Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten. Frankfurt am Main: Fischer 1958

Freud 1991 = Sigmund Freud: Die Traumdeutung. Frankfurt am Main: Fischer 1991

Jean Paul 1995 = „Vorschule der Ästhetik“. In: Sämtliche Werke. Bd. 5, 6. Aufl.. München: Hanser 1995

Mongré 1898 = Paul Mongré: Das Chaos in kosmischer Auslese – ein erkenntniskritischer Versuch. Leipzig: C. G. Naumann 1898

Nadeau 2002 = Maurice Nadeau: Geschichte des Surrealismus. 6. Aufl. Hamburg: Rowohlt 2002

Novalis 1978 = Novalis: Werke, Tagebücher und Briefe Friedrich von Hardenbergs. Bd. 2, Hg. von Hans-Joachim Mähl. München: Hanser 1978

Scheerer 1974 = Thomas M. Scheerer: Textanalytische Studien zur „écriture automatique“. Bonn: Romanisches Seminar der Universität Bonn 1974

Steiger 1965 = Dominik Steiger: im atemholen sind zweierlei gnaden. Peking: Verlag für fremdsprachige Literatur 1965

Steiger 1967 = Dominik Steiger: Die verbesserte grosse sozialistische Oktoberrevolution. Berlin: Rainer-Verlag 1967

Steiger 1968 = Dominik Steiger: Wunderpost für Co-Piloten. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1968

Steiger 1969 = Dominik Steiger: Hupen Jolly fahrt Elektroauto. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1969

Steiger 1970 = Dominik Steiger (Hg.): Vierundachtzig Österreichische Erzähler. Frankfurt: März- Verlag 1970

Steiger und Brus 1977 = Dominik Steiger und Günter Brus: Jeden Jeden Mittwoch. Berlin: Edition Hundertmark 1977  Berlin: Edition Hundertmark 1978

Steiger 1979 = Dominik Steiger: SENZA TANTO – GEDICHTE. Zürich: Seedorn-Verlag, Wien: Buchdienst Fesch 1979

Steiger 1982 = Dominik Steiger: Dominik Steiger. Otto Breicha in Zusammenarbeit mit dem Buchdienst Fesch 1982

Steiger 1984 = Dominik Steiger: ZELL FESCH von Letterspeck Dominik Steiger. Wien: Buchdienst Fesch; Zürich: Seedorn-Verlag 1984

Steiger 1994 = Dominik Steiger: THINGUMMY. Graz, Wien: Droschl 1994

Steiger 1997 = Dominik Steiger: SINNGUMMIS À LA MINUTE. Graz, Wien: Droschl 1997

Steiger 2000 = Dominik Steiger: 60 JAHRE / TISCH TRAUM A: Zur Ausstellung in der Galerie Hohenlohe & Kalb. Wien: Buchdienst Fesch-Tagtraumarbeiterpartei 2000

Steiger 2001 = Dominik Steiger: sink um i alle minuti. Graz, Wien: Droschl 2001

Steiger 2004 = Dominik Steiger: ABRA PALAVRA. Graz, Wien: Droschl 2004

Steiger 2007 = Dominik Steiger: mon dieu es geistert. Graz, Wien: Droschl 2007